Daniel Craig spielt ein letztes Mal den Geheimagenten und muss gegen eine über die Luft übertragene Bedrohung kämpfen. Das zieht sich und lässt Zeit fürs Philosophieren.
Eine Rezension von Jan Kedves
Vielleicht mag man sich ja zu einer kleinen Meditation über die Zeit angeregt fühlen, wenn jetzt mit eineinhalbjähriger Verspätung, die sich wahlweise lang oder kurz anfühlte, der 25. Bond in die Kinos kommt. Wenn also zu Beginn Billie Eilish immer noch ihren Song No Time To Die singt, der seit Februar 2020, als die Welt aufgrund des Virus stehenblieb, erstaunlich gut gealtert ist, und wenn über dem Abspann dann Louis Armstrong singt: "We Have All The Time In The World" – so wie er es 1969 schon einmal im Bond-Film Im Geheimdienst Ihrer Majestät tat. Vielleicht verläuft die Zeit ja wirklich zirkulär und hier im Kino sieht man jetzt den letzten, 163 Minuten langen, also ernsthaft zweidreiviertel Stunden dauernden Beweis dafür?
James Bond ist in diesem längsten aller Bond-Filme jedenfalls immer noch gefangen in dem ewig gleichen Loop aus Schurkenjagd und Sehnsucht nach dauerhafter Liebe, die ihm immer wieder entgleitet oder wegstirbt, sobald eine Chance auf Glück aufblitzt. Wobei Daniel Craig diesmal – es ist ja sein letzter Film als Bond – vielleicht wirklich aus diesem tragischen Kreislauf erlöst wird. Das könnte man denken, wenn die geheime Giftinsel, die irgendwo im Ozean zwischen Russland und Japan liegt und von der er jetzt einfach nicht mehr rechtzeitig runterkommt, in Asche gebombt wird, während seine Tochter … ja, Bond hat jetzt eine Tochter!
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Noch mal von vorn: No Time To Die ist der erste Bond-Film seit dem Brexit, was Fragen dazu aufwerfen könnte, was jener, also der Brexit, an dem gesamten britischen Empire-Fantasma vielleicht hätte ändern können, auf dem die Figur Bond doch immer auch surfte. Der Film tut allerdings einfach so, als sei London immer noch Zentrum der Welt. Nun gut. Daniel Craig hat mit über 50 auch immer noch denselben topfitten, proteingestählten Körper, den es eben braucht, um sofort wieder aufzustehen, wenn ein Granatenhagel den aus dem Ruhestand auf Jamaika reaktivierten Superagenten ihrer Majestät Queen Elizabeth II mal eben 50 Meter durch die Luft geschleudert hat und den es wohl auch braucht, um Frauen im Bett Spaß zu machen.
Der Film ist aber auch der erste Bond seit #MeToo. Deswegen setzt das Drehbuch die Wandlung der Hauptfigur vom super offensiven Womanizer zum vorsichtigeren Womanizer fort – sie deutete sich ja in den ersten vier Filmen mit Daniel Craig bereits an. Das heißt, natürlich hat Bond noch Sex, aber wenn man sich daran erinnert, wie weibliche Figuren in früheren Bond-Filmen noch ganz selbstverständlich auch unter Protest genötigt werden durften, dann scheint James jetzt einige Fortbildungen in consent culture hinter sich zu haben. Da ist zum Beispiel Nomi, die erste schwarze 007, großartig gespielt von Lashana Lynch. Sie trägt seine Nummer, weil "M" (Ralph Fiennes) dachte, Bond würde nie wieder auftauchen oder er sei tot, man könne seine Nummer folglich neu vergeben. Die neue 007 kommt also in Jamaika in Bonds Haus und fragt: "Und hier ist das Schlafzimmer?" – da versteht der schon, dass das jetzt keine Einladung ist, sich auf sie drauf zu werfen. Stattdessen schmunzelt er und erlaubt dem Drehbuch ein Metawitzchen über seine MI6-weit bekannte Sexmanie. Und wenn dann – in einem herrlichen Kurzauftritt – die frisch angelernte Agentin Paloma (Ana de Armas) Bond in ein kleines Kabuff zieht und dabei ein wirklich sehr tief ausgeschnittenes Kleidchen trägt, dann fragt er erst, ob er hier gerade etwas missverstehe. Ja, sie hat ihm nur einen Smoking mitgebracht, in den er jetzt bitte schlüpfen möge. Hihi.
Worum geht es sonst? Bonds treuester Gegenspieler Blofeld (Christoph Waltz) sitzt hinter Gittern und steuert die Aktivitäten seines Terrornetzwerks Spectre bequem von seiner Zelle aus mithilfe eines bionischen Hightechauges. Derweil gibt es einen neuen Superschurken, der quasi aus dem Nichts auftaucht: Lyutsifer Safin (Rami Malek). Er trägt die Narben einer Dioxinvergiftung im Gesicht. Mithilfe eines korrupten russischen Wissenschaftlers hat er sich in eine Biowaffe eingehackt, die der MI6 in einem Londoner Geheimlabor entwickelt hat und die sich dummerweise ganz leicht gegen die gesamte Menschheit richten lässt. Lyutsifer Safin tötet mit dieser Waffe aber erst mal Blofelds gesamte Spectre-Equipe – wirklich hässlich, diese platzenden Blutbeulen, die sich nach dem Einatmen sofort im Gesicht bilden.
Im Film geht es also um eine durch die Luft übertragene Gesundheitsbedrohung, während der Kinostart aufgrund eines Virus, der über Aerosole übertragen wird und von dem manche immer noch meinen, es müsse aus einem Labor stammen, insgesamt dreimal verschoben wurde (was aus Daniel Craigs lang angekündigtem Abschied sozusagen einen dreifachen Exitus Interruptus machte). Das kann gespenstisch finden, wer will. Biowaffen und ihre Bedrohung waren allerdings schon, als das Drehbuch geschrieben wurde, also lange vor Corona, ein Thema.