Beim Vortrag von Lilian Bryan (2024)

21.01.2014

Beim Vortrag von Lilian Bryan

Beim Vortrag von Lilian Bryan (1)
Foto: Bill Porter

Gestern hatte ich das große Glück und die Ehre in der Montessori-Kinderkrippe meiner Tochter einen wunderbaren Vortrag von Lilian Bryan anzuhören. Die Pädagogen dort luden sie in ihr Kinderhaus ein, sie sagte zu und hielt einen wunderbaren Vortrag für Eltern über das frühe "Trotzalter" der Kleinkinder. Der Raum war voll, der Vortrag unglaublich fesselnd und bereichernd.


Lilian Bryan, gebürtige Österreicherin, lebt nun seit 60 Jahren in den USA mit ihrem Ehemann, fünf bereits erwachsenen Kindern und vielen Enkelkindern. Sie ist seit Jahrzehnten als Montessori-Trainerin der Association Montessori International (AMI) auf der ganzen Welt tätig. In verschiedenen Ländern auf fast allen Kontinenten hat sie Montessori-Kurse gehalten und auch heute reist sie immer noch als Botschafterin in Montessoris Namen. Sie hat auf Wunsch Mario M. Montessoris das Montessori-Institut in Atlanta (USA) gegründet und über viele Jahre geleitet und dabei den Grundstein für eine große Zahl von Montessori-Kinderhäusern gelegt.

Und gestern durfte ich bei einem ihrer Vorträge dabei sein und mir dabei so vieles mitnehmen! Sie sprach über die größte Aufgabe des Kindes: Selbstständigkeit zu erlangen und sich selbst aufzubauen, über die Wichtigkeit der ersten Lebensjahre, über die angepasste Umgebung und die angepassten Erwachsenen. Sie erzählte über ihre Erfahrung und ihr Wissen mit einer unglaublich großen Liebe zu den Kindern. Über die Bewegung, über die Sprache, über die hartnäckigen "Nein!"s und "Doch!"s, über die wahren Bedürfnisse der Kleinkinder und über die Hilfe, die wir ihnen bieten können und die wirklich eine Hilfe ist. Ich kann Euch leider nicht zitieren, was Frau Bryant alles gesagt hat, aber ich versuche einiges was ich gehört habe mit eigenen Worten weiter zu geben:

Die ersten 6 Lebensjahre


Die ersten Lebensjahre sind die bedeutendsten im Leben. Denn in dieser Zeit lernt das Kind die fundamentalsten Dinge, wie das Laufen, Sprechen, es entdeckt seinen eigenen Willen und das ICH und auch seine eigenen Fähigkeiten einzuschätzen. Und wenn es viel selbstständig machen kann mit Ermutigung und Geduld unsererseits, wird es Vertrauen in sich selbst bekommen, mit Begeisterung die kleinen Hürden im Alltag zu bewältigen versuchen, es wird mutig und voller Tatendrang sein. In diesen Jahren wird sozusagen sein Charakter geschmiedet. Und einen guten Charackter wünschen wir ja alle für unsere Kinder! Wie viele von uns trauen sich als Erwachsene nicht, etwas ganz alleine zu bewältigen.

Beim Vortrag von Lilian Bryan (2)


Wir alle kennen diese "Will alleine!" Ausrufe der Kinder. Diese werden von einem inneren Impuls geleitet. Seit die Kinder in diese Welt geboren wurden streben sie nach Selbstständigkeit. Sie wollen dann alleine essen, sich unabhängig von uns bewegen, alleine ausprobieren, was sie auch bei den Erwachsenen sehen. Es liegt in unserer Natur nach Selbstständigkeit zu streben. Und was machen wir Eltern? Wir ziehen sie an, kämmen ihre Haare und füttern sie. Weil wir sie lieben. Weil wir ihnen einen Gefallen tun möchten, denn wer mag es nicht, verwöhnt zu werden? Doch Kinder haben eine andere Natur. Sie wollen fürs Leben lernen. Wenn wir ihnen also diese Aufgaben abnehmen, hindern wir sie beim Lernen. Denn es gibt eine Hilfe, die keine Hilfe ist. Denken wir daran, wie wir Snowboardfahren lernen oder von mir aus das Klavierspielen. Was wir hierbei in erster Linie brauchen ist jemand, der uns die Bewegungen zeigt. Langsam und ganz genau und mit viel Geduld. Jemanden, der uns danach aber auch selbst probieren lässt und nicht ungeduldig wird, wenn wir im Schnee einen Purzelbaum schlagen oder auf dem Klavier die falschen Tasten erwischen. Denn etwas zu erlernen braucht viel Übung!

Die Bewegung


Kinder haben also den inneren Impuls etwas ganz alleine zu meistern. Sie arbeiten hart und unermüdlich. Sie haben die größte Mühe zu stehen und dann zu gehen aber nutzen jede kleinste Gelegenheit dies zu üben. Und sie schaffen es auch! Wie groß dann die Freude auch der Eltern und der Großeltern ist. Warum stecken wir sie dann aber in den Kinderwagen? Um schneller zu sein. Weil das Kind nach jedem 2. Schritt stehen bleibt und im schlimmsten Fall sogar die Richtung wechselt. Weil es nicht so schnell gehen kann, wie wir es uns wünschen. Weil es für uns Erwachsene doch soviel leichter ist, wenn das Kind geschoben wird. Wir müssen ja pünktlich zu einem Termin, zur Arbeit oder eben ganz viel in wenig Zeit erledigen.

Beim Vortrag von Lilian Bryan (3)


Doch das Kind kann aus dem Kinderwagen die Welt nicht entdecken: Die Ameisen und die kleinen Risse auf dem Gehsteig nicht beobachten. Es kann nicht üben, wie man über die Straße geht, wie man Stufen hinauf oder runter steigt oder wie man in die U-Bahn und in die Straßenbahn ein- und aussteigt. Es ist langsam, ja, aber wir können uns dem Kind ja auch ein wenig anpassen. Wir gehen früher los, oder lassen es auf dem Nachhauseweg ganz alleine zu Fuß gehen. Es will und soll die Welt entdecken. Es hatte so viel Mühe, so viel Anstrengung das Gehen zu erlernen!

Sprechen

Wie Kinder zu Sprechen lernen ist ein einzigartges Phänomen. Und sie brauchen dazu nichts anderes als uns beim Sprechen zuzuhören. Sprachen sind manchmal kompliziert, manchmal einfach, manche Kinder hören mehrere Sprachen zuhause, manche nur eine, aber alle lernen diese in den ersten Lebensjahren mit Leichtigkeit. Und nur durchs Zuhören. Sprechen wir auch mit Kindern, die noch nicht sprechen können. Ja, man führt dann einen Monolog, das Kind jedoch absorbiert die Sprache und eines Tages (einige früher, andere später) sagt es ein Wort (oder gleich einen ganzen Satz!). Sprechen wir mit ihnen, wie mit kleinen Wissenschaftlern. Muten wir ihnen die Fähigkeit zu, sogar für uns schwer erscheinende Wörter zu erlernen. Denn für Kinder sind Wörter alle gleich: Ob Karotte oder Weimaraner, sie werden nicht wählerisch sein. Ein Hund muss ja auch nicht nur ein Hund bleiben, er darf ruhig ein Dalmatiner oder ein Schäferhund sein. Erzählen wir ihm beim Spazieren gehen, dass der Vogel da auf dem Baum ein Rotkehlchen ist, oder der da eine Krähe. Dass die Sträucher da Wildrose genannt werden und der Baum dort eine Fichte ist. Gut, man kennt vielleicht auch als Erwachsener nicht alles so genau, aber man kann ja nachlesen und mit dem Kind mitlernen. Es ist doch schön, wenn man einander bereichern kann, nicht wahr?

Beim Vortrag von Lilian Bryan (4)

Der eigene Wille


Die hartnäckigen "Nein!"s unserer süßen kleinen Kinder kennen wir ja so gut wie alle. Sie können uns zwar ganz schön auf die Probe stellen, jedoch können wir diese auch mit anderen Augen sehen. Denn wenn ein Kind "Nein!" sagt, hat es verstanden, dass es mit seinem eigenen Kopf denkt. Es sagt zwar noch seinen Namen, wenn es über sich selbst spricht, denn die Entdeckung des ICHs kommt erst etwa mit 3 Jahren. Aber es entdeckt schon viel früher, dass es selbst entscheiden kann. Dass es sehr wohl anderer Meinung sein kann, als seine Eltern. Das ist doch ein Meilenstein und wunderbar! Statt es also davon abzuhalten, geben wir ihm so oft es nur geht die Möglichkeit selbst zu denken. Bieten wir dem Kleinkind überall wo es nur geht, 2 Möglichkeiten an, woraus es dann eine wählen kann: "Magst Du meine rechte oder meine linke Hand halten?" oder "Möchtest Du die rote oder die gelbe Socke anziehen?". Denn in dem Moment, wo das Kind entscheiden darf, fühlt es sich bemächtigt und willensstark, all dies von uns unsichtbar geleitet. Ist doch ein perfekter Kompromiss.

Lassen wir doch unsere Kinder in Ruhe lernen. Mit den Sinnen und auch mit dem Verstand. Aus Erfolgen und auch aus Fehlern lernt man. Wenn sie etwas geschafft haben, lassen wir sie dies in vollen Zügen auskosten. Muten wir ihnen das zu! Natürlich sind sie am Anfang noch ungeschickt und fordern auch viel Geduld von uns Erwachsenen. Aber nur durch Tun kann man lernen, nur durch Üben festigen. Nicht das Kind soll sich uns anpassen, sondern wir sollen ihm helfen sich alleine zurecht zu finden. Machen wir ihm dieses Geschenk, geben wir ihm die Möglichkeit fürs Leben zu lernen.

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Author: Prof. Nancy Dach

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